Der Traum vieler junger Anwälte/innen ist „der digitale Nomade“, der mit seinem Laptop ausgerüstet von allen Plätzen der Welt arbeiten kann – mit Zugriff auf Daten in der Cloud.
Dass anwaltliche Tätigkeiten auch ohne direkten Mandanten-/Kundenkontakt ausgeübt werden können, zeigen Online-Portale wie ‚Smartlaw‘, ‚Advocado‘ oder ‚Jurato‘. Ist es da nicht verlockend, die eigene Anwaltstätigkeit von einem beliebigen Platz der Welt auszuführen?
Das Konzept eignet sich aber auch für Anwälte, die in ländlichen Gegenden praktizieren und ihren Wirkungskreis vergrößern wollen. Eine virtuelle Kanzlei sollten all diejenigen Anwälte in Betracht ziehen, die technikaffin sind und von verschiedenen Orten aus operieren wollen. Dies setzt aber auch eine gute Portion Disziplin voraus, denn in einer virtuellen Kanzlei gibt es keine Kollegen, mit denen man bei einer Tasse Kaffee einen Fall diskutieren kann.
Das Standesrecht fordert weder ein Büro mit Angestellten, noch ist es erforderlich, dass Sie von 9:00 - 17:00 Uhr „anwesend“ sind. Erforderlich ist allerdings das Anbringen eines Kanzleischildes am Arbeitsort des Anwaltes. Die Befreiung von der Kanzleipflicht ist nach § 29 Abs. 1 BRAO sowohl im Interesse der Rechtspflege als auch zur Vermeidung von Härten für den Rechtsanwalt möglich. Der Antrag auf Befreiung von der Kanzleipflicht kann formlos bei der Rechtsanwaltskammer gestellt werden. Dem Antrag wird in der Regel entsprochen, wenn sich der Rechtsanwalt aus beruflichen Gründen für eine längere Zeit im Ausland aufhält und dort in einer Kanzlei bzw. in einem Unternehmen oder Verband tätig ist.
Wie sehen virtuelle Anwaltskonzepte aus?
- Nutzung cloudbasierter Technologien
- Büroräume sind in der Regel nicht vorhanden
- online-basierte Formulare, um Erstberatungen schon vorab steuern zu können
- Installation von Chatbots
- Verwenden eines Online-Mandanten-Portals für die Kommunikation mit Mandanten und für die Bereitstellung juristischer Dienste
- „Produktisieren“ einzelner Services, um skalierbare Produkte (Verträge, AGBs etc.) zu erstellen.
- Webinare als virtuelle Fachvorträge
- Intensive Nutzung aller Social-Media-Kanäle
- Aktive Partizipation in „Gruppen“ auf LinkedIn, Facebook, Xing und/oder der Aufbau eines YouTube-Kanals! Der bekannte Kölner Medienanwalt Christian Solmeke zeigt, wie man auch mit Rechtsinhalten Zuschauer erreichen kann, sein YouTube-Kanal hat fast 180.000 Abonnenten!
- Platzierung von „Evergreen“-Content – also Inhalte, die immer aktuell ist.
- Standardisierte Leistungsangebote mit fixierten Kosten
- Rechtsrat binnen 24/48 Stunden
- Online-Rechtsberatung 24/7 (Chatbots)
- Rechtsrat „online only“ und per Telefon
Worauf müssen Sie achten?
Wenn Sie eine neue Kanzlei gründen oder eine traditionelle in ein virtuelles Modell umwandeln, müssen Sie folgende Fragen beantworten:
- Wer sind meine (Wunsch-)Mandanten?
- Was sind meine Spezialgebiete?
- Bin ich/ist meine Kanzlei technisch entsprechend ausgerüstet?
- Wo möchte ich mich geografisch positionieren?
- Bin ich (technisch + mental) fit genug, um in einer virtuellen Welt zu agieren?
- Welches digitale Business Modell kann ich installieren, um mein Alleinstellungsmerkmal bzw. USP (Unique Selling Proposition) zu etablieren?
- Partizipation an Franchise-Unternehmen
Kanzleimanagement
Unabhängig von der Größe des Unternehmens ist eine cloudbasierte Kanzleimanagement-Lösung notwendig, um ein virtuelles Unternehmen effektiv zu führen. Dasselbe gilt für das gesamte Dokumentenmanagement.
Digitalisierung
Sie sollten schauen, dass Sie Ihren potentiellen Mandanten digitalisierte Verträge anbieten können. Schauen Sie sich Firmen wie Advocado oder Smartlaw an und kopieren Sie Teile dieser Business-Modelle. Setzen Sie sich mit Legal Tech bzw. Legal Engineering-Unternehmen zusammen; kreieren Sie digitalisierte Verträge und implementieren Sie Technologielösungen. Arbeiten Sie mit Vertragsgeneratoren und setzen Sie intelligente Wissensarchitektur ein.
Digitales Marketing
Wenn Sie eine virtuelle Kanzlei aufbauen, ist es von ganz besonderer Bedeutung, dass Sie die sozialen Medien nutzen und dort aktiv Marketing und Business Development betreiben. Sie müssen in den sozialen Foren unterwegs sein, in denen Ihre potentiellen Mandanten unterwegs sind und mit intelligenten Marketingstrategien Ihre Nische vermarkten.
Die Rede ist nicht davon, Geld in Werbung zu stecken, sondern Strategien zu entwickeln und zusammen mit Legal Tech und digitalem Marketing neue Mandanten zu akquirieren.
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Die Autorin Dr. Petra Arends-Paltzer studierte Jura in Bonn, Lausanne sowie Würzburg und hat als Anwältin, Syndicusanwältin, Bankerin und Projektmanagerin vornehmlich im Rechts-/Finanzumfeld gearbeitet. Sie berät Anwältinnen und Anwälte bei der Implementierung neuer Geschäftsmodelle in Zusammenarbeit mit Legal Tech und ist Mitgründerin der Swiss Legal Tech.
www.swisslegal.tech