Legal Tech-Projekt

Das erste Legal Tech-Projekt: Wie Anwaltskanzleien es angehen sollten

Von Anselm Appel

Da Legal Tech nicht mehr nur als abstrakter „Zukunfstrend“ gehandelt wird, sondern den Sprung in so manchen Kanzleialltag geschafft hat, fragen sich viele Kanzleien: „Wie kann ich in meiner Kanzlei gewinnbringend Legal Tech einsetzen?“. Lesen Sie hier die wichtigsten Tipps eines Praxiserprobten.

Grundsätzlich treffen bei Legal Tech-Projekten immer zwei sehr unterschiedliche Welten aufeinander: die der binär denkenden IT-lerInnen und die der in Paragraphen denkenden JuristInnen. Aus diesem Grund ist es meistens eine große Herausforderung, ein Legal Tech-Projekt erfolgreich umzusetzen.

Durch unsere Erfahrung - sowohl als Softwarehersteller als auch als Nutzer von Legal Tech - konnten wir zahlreiche gute und schlechte Praxiserfahrungen bei der Durchführung von Legal Tech-Projekten sammeln. Dieser Praxisbericht soll Kanzleien, die noch am Anfang stehen, helfen, aus diesen Erfahrungen zu lernen.

Insbesondere geht es darum, wie Kanzleien Legal Tech-Projekte am besten angehen und was sie dabei beachten sollten.

Wo starte ich? Mit dem richtigen Mindset!

Zunächst einmal sollte man die Grundauffassung vertreten, dass Legal Tech einen Nutzen für den Arbeitsalltag bringen und zum Wohle und Wachstum der Kanzlei beitragen kann, wenn es an der richtigen Stelle eingesetzt wird. Diese Auffassung vertreten Sie vermutlich, ansonsten würden Sie diesen Artikel nicht lesen! Der erste Schritt ist also schon getan.

Mit dieser Grundeinstellung sollte man sich darüber klar werden, welches Ziel man mit der Umsetzung eines Legal Tech-Projektes verfolgt. Marketingeffekte durch ein „Sich-als-modern-nach-außen-darstellen“ sowie die pure Neugier an Legal Tech-Projekten sind gute Beweggründe, reichen aber als Ziel und Motivation nicht aus.

Mehrwert statt Image: Sinnvolle Ziele für Legal Tech-Projekt setzen

Ziel sollte es sein, durch den Einsatz von Technologie einen Mehrwert für das Kanzleigeschäft zu schaffen. Dieser Mehrwert kann z. B. darin bestehen, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Bearbeitungszeit zu sparen, den Mandanten eine schönere „Customer Experience“ zu ermöglichen oder die Zeit bei Recherche und Aktensuche zu reduzieren.

Die logische Anschlussfrage ist: Wo genau schaffe ich einen Mehrwert? Welchen Bereich wähle ich aus, um ein Legal Tech-Projekt zu starten?

In welchem Bereich meiner Kanzlei setze ich Legal Tech ein?

Bei der Auswahl eines Bereiches empfehlen wir unseren Erstkunden, einen Bereich zu wählen, der an ihr Kerngeschäft angrenzt, nicht aber Ihr Kerngeschäft ist. Versuchen Sie nicht, Ihre kompletten Kanzleiabläufe in Frage zu stellen und alles von 0 auf 100 digital zu transformieren. Änderungen im Sinne der Einführung einer Technik sollten idealerweise nicht schlagartig und ungeplant, sondern strategisch, überlegt und nachhaltig geschehen.

Fangen Sie klein an

Hier ist es – vor allem beim ersten Projekt – ratsam, klein zu starten. Dafür eignen sich an Ihr Hauptgeschäft angrenzende Bereiche, in denen Sie eine gewisse Erfahrung und Kompetenz vorweisen und die Sie schon immer mal in Angriff nehmen wollten. (Dann ist auch die Motivation gesichert). Speziell für Legal Tech-Automatisierung eignen sich auch solche Teilgebiete, die vielleicht auf den ersten Blick unwirtschaftlich erscheinen und deswegen nicht bearbeitet werden. Hier können durch den Einsatz einer Automatisierungssoftware ganz neue Business Cases entstehen, die in der Umsetzung viel Spaß machen können. Als Gedankenanstoß kann man sich folgende Frage stellen:

In welchen Gebieten sind die Streitwerte gering und „unattraktiv“ und gleichzeitig eine hohe Anzahl an potenziellen Fällen verfügbar?

Auf der Suche nach einem geeigneten Feld für ein Legal Tech-Projekt müssen Sie etwas kreativ werden, können sich aber bei der richtigen Wahl ein spannendes Standbein aufbauen und sich „austoben“. Im folgenden Abschnitt möchte ich darauf eingehen, auf welche Art und Weise ein solches Projekt umgesetzt werden sollte. Um kreativ zu werden, hilft es zum einen, über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen und sich zum anderen auf Legal Tech-Veranstaltungen mit Kolleginnen und Kollegen auszutauschen, die bereits über Erfahrungen verfügen.

Welche Form der Projektarbeit sollte ich wählen?

Da der Einsatz von Legal Tech für die meisten etwas Neues und deswegen immer mit einem gewissen Risiko behaftet ist, macht es keinen Sinn, Unmengen an Geld zu investieren. Deswegen raten wir dazu, Pilotprojekte anzustreben und in einem festgelegten, möglichst kurzen Zeitraum einen Prototypen oder ein MVP (Minimum Viable Product) zu realisieren und diesen unter Realbedingungen zu testen.

Dies hat mehrere Vorteile:

  1. Sie gehen kein großes finanzielles Risiko ein.
  2. Sie lernen den Umgang mit IT-Dienstleistern sowie IT-Projektarbeit kennen.
  3. Sie haben einen Quick-Win, der Ihren Alltag erleichtert/verbessert.
  4. Sie können einen kleinen Erfolg feiern und den Schwung in größere Projekte mitnehmen.

Wovon Sie sich jedoch verabschieden müssen, ist die Vorstellung, dass Sie diesen MVP unentgeltlich erhalten. Eine gewisse finanzielle Investition und ein Risiko werden immer auf Sie zukommen, ansonsten werden sich die professionellen IT-Anbieter nicht mit Ihnen auseinandersetzen.

Auch Angebote an IT-Anbieter, in dem Sie Ihre Expertise in einem Rechtsgebiet sowie der Fallbearbeitung gegen die Programmierung einer entsprechende Software eintauschen, die potenziell auch für andere RechtsanwältInnen einen Mehrwert bietet, sind wenig erfolgsversprechend und nur in einigen sehr wenigen Ausnahmefällen möglich. IT-Anbieter können davon ein Lied singen und erhalten derlei Anfragen täglich.

Drei Tipps für das erste Legal Tech-Projekt

1. It-ler verstehen – sich selbst verständlich machen

Zu Beginn sprach ich die grundverschiedenen Denkweisen von IT-lerInnen und JuristInnen an. Ganz platt gesprochen denken Erstere ausschließlich in Einsen und Nullen, mit dem Fokus darauf, mathematische Probleme mit einem exakten Lösungsweg zu lösen. Letztere hingegen bewegen sich in Graubereichen und Interpretationen von Gesetzen. Die Kunst besteht darin, diese beiden Welten zusammenzuführen und eine gemeinsame Kommunikations- und Verständnisgrundlage zu finden. Um das zu erreichen, ist es für beide Seiten notwendig, ein Stück weit in die Welt des anderen einzutauchen. Für Sie als Kanzlei bedeutet das: Setzen Sie sich mit der Welt der IT auseinander und versuchen Sie, den ExpertInnen auf Augenhöhe zu begegnen. Stellen Sie Fragen, wenn Sie etwas nicht verstehen und erklären Sie umgekehrt für Sie womöglich Selbstverständliches.

2. Interdisziplinäre Zusammenarbeit auf Augenhöhe

In IT-Projekten gelangen Sie meistens an Punkte, bei denen es scheinbar schwer vorangeht und unvorhergesehene Probleme auftauchen. Dies liegt in der Natur der Sache und kommt bei jedem IT-Projekt vor, auch und vor allem außerhalb von Legal Tech. Um solche Probleme zu lösen, ist es wichtig, sich auf Augenhöhe zu begegnen und ein Team zu bilden: Beide Seiten haben ein Interesse an der erfolgreichen Durchführung des Projektes. Ein „Silodenken“ ist nicht zeitgemäß, unangebracht und führt zum Misserfolg. Im Zuge einer Zusammenarbeit als Team bietet es sich an, Kommunikationssoftware wie Slack oder Microsoft Teams auszuprobieren, um so schon einmal „technisch“ auf Augenhöhe zu sein.

3.Geduld haben und flexibel sein

Zu guter Letzt sollten Sie Geduld mitbringen. In der IT funktioniert nie alles beim ersten Mal so wie es sollte und selbst die größten Technikhersteller wie Apple, Microsoft oder Tesla veröffentlichen regelmäßig Software, die „Fehler“ (Bugs) enthält und aktualisiert werden muss. Wie soll es dann eine kleine Softwarefirma schaffen, perfekte Software bereitzustellen? Stellen Sie sich von Anfang an darauf ein, dass Softwareprojekte nicht perfekt ablaufen können und immer etwas Unvorhersehbares passieren wird. Das ist bei jedem Softwareprojekt der Fall, nur derjenige, der diesen Umstand von Anfang an einplant und seine Erwartungshaltung, sowie sein Erwartungsmanagement dementsprechend anpasst, wird Erfolg haben. Geduld und Flexibilität sind die geeignete Reaktion auf die Herausforderungen eines IT-Projekts.

Hier sind sich IT und Jura dann doch ähnlich – es gibt immer mehrere Wege zum Ziel! Die Kunst besteht darin, den für den spezifischen Fall/das spezifische Projekt Besten zu finden.

In diesem Sinne, viel Erfolg!

Tipps für das erste Legal Tech-Projekt auf einen Blick

  • Klein anfangen: kleines Projekt als Pilotprojekt oder MVP
  • Randbereich des Kanzleigeschäfts statt Kerngeschäft wählen
  • Auf Augenhöhe begegnen: Team bilden
  • It-ler verstehen lernen: die Welt des anderen nachvollziehen wollen
  • Geduld und Flexibilität: Kernfähigkeiten, die zum Erfolg führen
Foto: Adobe.Stock/©Rawpixel Ltd.
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Anselm Appel ist Business Developer bei 42 Digital Business Solutions und für der Vermarktung der ShakeSpeare Software in der DACH-Region zuständig. Er hat lang-
jährige Erfahrung im Bereich Legal Software und zahlreiche Projekte in den Bereichen Automatisierung von Massenverfahren, Legal Process Outsourcing und Legal Robotic Process Automation für Kanzleien und Legal Tech-Startups durchgeführt.

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