Wie wirkt sich Legal Tech konkret auf den Kanzleialltag aus? Haben Legal Tech-Gesetz und die aktive Nutzungspflicht des beA für echte Veränderungen gesorgt? Welche Rolle spielt Legal Tech im Jurastudium. Einmal im Jahr führen wir die große Legal Tech-Umfrage durch, um diese und weitere Fragen zu beantworten. Die wichtigsten Erkenntnisse aus der Umfrage und zum Stand von Legal Tech in Deutschland finden Sie in diesem Beitrag.
Infos zur Umfrage: Befragungszeitraum: Juli 2022 bis September 2022
Die rund 270 Teilnehmer:innen der Umfrage aller Altersstufen sind zu 52 Prozent Anwältinnen und Anwälte, zu 20 Prozent Studierende bzw. Referendar:innen und zu 12 Prozent Unternehmensjurist:innen.
Legal Tech – immer noch Buzzword oder schon ein alter Hut?
Der Begriff „Legal Tech“ als Bezeichnung für die Digitalisierung in der Rechtsbranche existiert bereits seit einigen Jahren – bei all dem Hype, stetig auf den Markt drängenden neuen Softwareanwendungen und die Rechtsprechung beeinflussend, sollte Legal Tech inzwischen im Arbeitsalltag der meisten Jurist:innen angekommen sein. Trotzdem fühlt sich die Anwaltschaft sehr unterschiedlich gut über Legal Tech informiert. 44 Prozent der Befragten gaben an, sich lediglich „oberflächlich“ mit der Thematik auszukennen. Nur 5 Prozent der Befragten kennen sich nach eigener Angabe gar nicht mit Legal Tech aus. Auf der anderen Seite fühlt sich die Hälfte der Befragten gut oder sogar sehr gut über Legal Tech informiert.
Was treibt Jurist:innen an, sich mit Legal Tech zu beschäftigen? Die Mehrheit (63 Prozent) nennt das Interesse an Tech- und Digitalisierungsthemen als Hauptmotivation gefolgt vom Interesse an der Verbesserung kanzleiinterner Prozesse (50 Prozent). Keine besonders großen Auswirkungen auf das Interesse an Legal Tech hatte die Corona-Pandemie. Lediglich 16 Prozent der Befragten gaben an, sich wegen der Pandemie mit Legal Tech beschäftigen zu haben. Auch Mandantengewinnung und -bindung sowie die Mitarbeitergewinnung spielen eine untergeordnete Rolle (Abb. 1).
Legal Tech-Gesetz und beA: (K)Ein Fortschritt für Kanzleien?
Einen kleinen Digitalisierungsschub hat die Einführung der aktiven Nutzungspflicht des beAs gebracht: Immerhin die Hälfte der Befragten beantwortet die Frage, ob die Einführung der aktiven Nutzungspflicht zu digitaleren und effizienteren Arbeitsweisen geführt hat, mit „Ja, ganz deutlich“ oder „Eher ja“. Auf der anderen Seite konnten 39 Prozent nur wenige oder keine Auswirkungen der Nutzungspflicht auf ihre Digitalisierungsprozesse feststellen.
Weniger spürbare Auswirkungen hatte das im Oktober 2021 eingeführte und umstrittene Legal Tech-Gesetz („Gesetz zur Förderung verbrauchergerechter Angebote im Rechtsdienstleistungsmarkt“), das für mehr Chancengleichheit zwischen Anwaltschaft und Legal Tech-Unternehmen sorgen sollte.
Lediglich 8 Prozent der Befragten konnten Auswirkungen des Legal Tech-Gesetzes auf ihre Arbeit feststellen. 12 Prozent der Befragten kannten das Gesetz überhaupt nicht (Abb. 2).
Digitalisierungsprojekte in Kanzleien – Wissensmanagement im Fokus
Gute Digitalisierung sorgt dafür, dass kanzleiinterne Prozesse effizienter, Mitarbeitende entlastet und Mandant:innen zufriedener werden. Aber noch immer sehen sich Kanzleien mit einigen Schwierigkeiten konfrontiert, wenn sie die Digitalisierung vorantreiben wollen. Größtes Digitalisierungshindernis in Kanzleien ist die mangelnde Zeit (40 Prozent) gefolgt von fehlendem Wissen und/oder fehlender IT-Kompetenz (35 Prozent). Begrenztes Budget stellt hingegen nur für 21 Prozent der Befragten ein Problem dar. Trotz aller Herausforderungen haben 66 Prozent aller befragten Anwälte und Anwältinnen in letzter Zeit ein neues Legal Tech-Tool eingeführt; am beliebtesten waren Tools für das digitale Diktat bzw. Spracherkennung und zur Dokumentenerstellung. Je besser sich die befragten Anwälte und Anwältinnen über Legal Tech informiert fühlen, desto höher auch die Wahrscheinlichkeit, dass sie ein Legal Tech-Tool eingeführt haben.
Immer mehr Anklang unter den Anwälten und Anwältinnen findet die Arbeit mit der elektronischen Akte (E-Akte). Bereits 34 Prozent aller Befragten Anwälte und Anwältinnen nutzen ausschließlich die elektronische Akte; 42 Prozent nutzen die E-Akte parallel zur Papierakte. Nur 10 Prozent der Befragten sehen keine Vorteile und keinen Bedarf für die Nutzung der E-Akte. Bei der Frage, welcher Teil der juristischen Arbeit in den Kanzleien als Nächstes digitalisiert werden soll, steht zum ersten Mal das Wissensmanagement im Fokus, gefolgt von Dokumenten- und Vertragserstellung sowie der Einführung der E-Akte. Eine kleinere Rolle bei zukünftigen Digitalisierungsprojekten spielen die Mandantenkommunikation und die Mandatsannahme (Abb. 3).
Legal Tech im Jurastudium – großes Interesse, wenig Angebote
Es gibt zwar immer mehr Legal Tech-Angebote an Universitäten (zum Beispiel eigene Masterstudiengänge), in der normalen juristischen Ausbildung spielt Legal Tech jedoch noch keine große Rolle und wird im Studium kaum thematisiert. Lediglich 12 Prozent der befragten Studierenden gaben an, dass in ihrem Studium Legal Tech-Themen behandelt werden (Abb. 4). Trotzdem sehen sich 39 Prozent der Befragten gut und 14 Prozent sogar sehr gut über Legal Tech informiert. Das erklärt auch, wieso sich viele Studierende wünschen, mehr Legal Tech-Themen im Studium zu behandeln. Dabei interessieren sich die meisten für grundlegendes Wissen zu Legal Tech, gefolgt von rechtlichen Grundlagen zu Tech-Themen wie Künstliche Intelligenz, Blockchain und Smart Contracts. Ein kleinerer Anteil wünscht sich auch die Aufnahme von IT-Wissen ins Jurastudium, wie eine Einführung in Programmiersprachen.
Fazit: Wissen und Interesse an Legal Tech als Voraussetzung für die Digitalisierung
Schreitet die Digitalisierung in Kanzleien voran? Ja. Die aktive Nutzungspflicht des beAs und auch die Vorteile der E-Akte sorgen dafür, dass Anwälte und Anwältinnen auf digitales Arbeiten umsteigen (müssen). Ein Großteil der Befragten hat in der letzten Zeit ein neues Legal Tech-Tool eingeführt.
Schreitet die Digitalisierung in Kanzleien so schnell voran, wie sie könnte? Nein. Gerade im Arbeitsalltag hat die Digitalisierung bei vielen Befragten keine Priorität, da die Zeit begrenzt ist. Die Umfrage zeigt auch, dass immer noch knapp der Hälfte der Befragten (IT-)Wissen in den Bereichen Legal Tech und Digitalisierung fehlt. Dieses wird für Digitalisierungsprojekte aber dringend benötigt – denn die Umfrage zeigt: Je größer das Wissen über Legal Tech, desto eher werden Digitalisierungsprojekte umgesetzt. Eine Möglichkeit, dieses Wissen schon frühzeitig zu vermitteln, sind die Universitäten. Im Jahr 2022 spielt Legal Tech im Jurastudium aber immer noch so gut wie keine Rolle. Hier besteht das Potenzial, frühzeitig die ersten Bausteine für digitales Arbeiten zu legen.
Wir bedanken uns recht herzlich bei unseren Medienpartner LTO für die freundliche Unterstützung bei der Verbreitung der Umfrage.