Regulierung Legal Tech

In jedem Fall für den Mandanten? Der Meinungsstreit um die Regulierung von Legal Tech

Von Philipp Kürth

Die beim Fachgespräch des Bündnis 90/Die Grünen am 24.06.2019 vorgebrachten Argumente

Digitale Legal Tech-Services sensibilisieren Verbraucher für ihre Rechte, an deren Durchsetzung sie bislang ein „rationales Desinteresse“ hatten. Sie bringen Verbrauchern Kosten- und Zeitersparnis und erfüllen insoweit den in Art. 19 IV GG verankerten Justizgewährungsanspruch. Dies ist weitläufiger Konsens. Strittig hingegen ist, ob die angebotenen Rechtsdienstleistungen schon eine nach dem RDG verbotene Rechtsdurchsetzung darstellen, wenn sie ohne Anwaltszulassung und nicht als Inkassotätigkeit erbracht werden. Daran knüpft auch die Frage an, ob anwaltliches Berufsrecht durchgesetzt oder angepasst werden sollte, wenn die Tätigkeit von Legal Tech-Unternehmen als unzulässig anzusehen ist. Umfasst der Justizgewährungsanspruch auch die risikolose Geltendmachung von Ansprüchen, wie sie die Online-Rechtsberatung ermöglichen will? Ist eine Gesetzesänderung nötig und wie könnte eine solche aussehen? Diese Fragen waren Gegenstand des Fachgesprächs zum Thema Legal Tech, das die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen am 24.6.2019 veranstaltete.

Die durch die Digitalisierung vorgebrachten fundamentalen Veränderungen erfassen auch Justiz und Rechtspflege. Die Spannbreite der Argumente, die in der Diskussion beim Fachgespräch um die Zulässigkeit von Legal Tech-Dienstleistungen vorgebracht werden, war groß. Die vertretenen Ansichten wichen stark voneinander ab. Zur Diskussion um eine möglicherweise erforderliche rechtliche Regulierung von Legal Tech-Unternehmen fanden sich die verschiedensten Interessenvertreter bei dem Fachgespräch zusammen: Debattiert haben unter anderem Nicole Narewski für den Deutschen Anwaltsverein (DAV), Florian Stößel für die Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV), Martin Fries von der LMU als Vertreter der Rechtswissenschaften, der Bundesverband Deutscher Inkasso-Unternehmen (BDIU), die Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr (SÖP), Vertreter der Justiz und nicht zuletzt selbstverständlich Legal Tech-Anbieter selbst. Dazu zählten u. a. Dr. Jan-Eike Andresen von MyRight oder auch Dr. Daniel Halmer von LexFox.

Streitpunkt 1: Ist die Qualität der Rechtsberatung ohne eine Regulierung gefährdet?

Legal Tech-Dienstleister rühmen sich bislang damit, den Verbraucherinteressen zu dienen, die von der Anwaltschaft bisher als nicht sehr lukrativ erachtet und dementsprechend auch weniger adressiert wurden. Damit würden sie eine Rechtsschutzlücke schließen. Dennoch besteht auch im Massengeschäft mit Verbraucheransprüchen die Gefahr, dass die Rechtsdienstleister nur die Forderungen mit den besten Erfolgsaussichten durchsetzen, also „Cherry-Picking“ betrieben, wie Kritiker darlegen. Diese Besorgnis wird nicht allein zur Argumentation gegen Legal Tech vorgebracht. Florian Stößel vom Verbraucherzentrale Bundesverband sieht die Gefahr „schwarzer Schafe“ ebenfalls bei einer fehlenden Regulierung. Weiterhin könne Legal Tech zu einer Ausdünnung des Beratungsangebots führen.

An dieser Stelle lässt sich jedoch einwenden, dass auch bei der Auswahl der ausschließlich lukrativen Ansprüche durch die Legal Tech-Betreiber eine Nachfrage seitens der Rechtssuchenden primär dadurch entsteht, dass sie ihre Forderungen nicht auf anderem Wege effizient durchzusetzen wissen. In den Worten von Martin Fries: „Warum sollten Legal Tech-Anbieter Cherries nicht picken sollen, die Anwälte vorher haben liegen lassen?“

Fries hob auch hervor, dass dem Zweck des RDG in der Praxis nicht nur auf einem Weg entsprochen werden könne. Die gesetzliche Vorlage sehe zur für den Schutz vor unqualifizierter Rechtsberatung zwei Staatsexamina vor. Dem ließe sich auch über das „Gesetz der großen Zahlen“ gerecht werden. Es kann auch ein Erfahrungsjurist ein guter Jurist sein, so der Standpunkt von Fries.

Fraglich sei auch die Beurteilung der automatisierten Rechtsberatung hinsichtlich des Anspruchs, den die rechtliche Interessenvertretung erfüllen sollte. Eine individuelle Vertretung könnten Legal Tech-Anbieter, die vom Massengeschäft leben, in der Regel nicht gewährleisten. Wie Marko Huth von Gansel Rechtsanwälte jedoch hervorhob, ist es nicht die auf die Einzelbedürfnisse zugeschnittene Rechtsdurchsetzung, weshalb Verbraucher die Möglichkeiten von Legal Tech schätzten. Es seien vielmehr die Synergieeffekte; das „ich bin viele“, was dem Kollektiv der Einzelnen eine gewisse Machtposition verleihe. Neben den vorgebrachten Argumenten, die klar gegen eine Minderwertigkeit der Legal Tech-Beratung sprechen, fehle vor allen Dingen eine konkrete Tatsachengrundlage, die eine solche Befürchtung des Qualitätsrückgangs begründen könnte. Bisher erweise sich die Angst vor „unseriösen Anbietern“ weitgehend als Scheinproblem.

Streitpunkt 2: Sollte für Anwälte die Vereinbarung von Erfolgshonoraren zugelassen werden?

Im Zusammenhang mit der Frage nach der Zulassung von Erfolgshonoraren wird auch darüber debattiert, wie sich dies auf eine mögliche Prozesskostenhilfe für Mandanten auswirkt. Für die vom Anwalt vor Gericht vertretene Partei lohnt sich die Vereinbarung eines Erfolgshonorars in der Regel bei der Geltendmachung von Ansprüchen. Die Übernahme des Prozessrisikos sorgt für Waffengleichheit zugunsten von Verbrauchern gegenüber umsatzstarken Unternehmen, die Prozesskosten in der Regel ohne Mühe stemmen. Aber wie ist das anwaltliche Tätigwerden zur Abwehr einer Forderung zu handhaben? Auch wenn der Streitgegenstand nicht die Forderung eines Geldbetrags, sondern etwa die Feststellung eines Rechts ist, kann ein wirtschaftlicher Erfolg schwer konkret bestimmt werden.

Streitpunkt 3: Sollte Anwälten zur Finanzierung ihres Geschäfts die Beteiligung von Fremdkapitalgebern ermöglicht werden?

Ethisches Ideal und Grundsatz für das Tätigwerden von Anwälten ist, dass sie sich ausschließlich den Interessen des Mandanten und der Durchsetzung des Rechts verpflichten. Wirtschaftliche Interessen eines hinter dem Anwalt stehenden Kapitalgebers sollen dagegen keinen Einfluss nehmen – so die Theorie.

Solange eine Fremdkapitalbeteiligung für Anwälte jedoch nicht möglich ist, geht damit das Risiko einher, dass Venture Capital und damit wirtschaftlich wertvolle Investitionen ins Ausland abwandern. Bliebe Legal Tech aber allein Anwälten vorbehalten, bestünde die Gefahr der Entstehung eines „Untergrunds“: Über Verträge mit Tech-Dienstleistern könnte die Bereitstellung der Dienste vom anwaltlichen Kerngeschäft ausgelagert werden. Der Vorbehalt der Rechtsdienstleistungserlaubnis für Anwälte wird als verfehlter Versuch, in der Rechtsdienstleistungsbranche „Alleinherrschaft“ zu wahren und als Konkurrenzschutz kritisiert. Dem mag sich entgegnen lassen, dass das Gefüge des RDG der Planbarkeit der Interessenvertretung im Rechtssystem gerecht werden soll. Laut Dr. Andresen sei jedoch nicht zu verkennen, dass diese Planbarkeit zu Lasten von Innovation gehe.

Streitpunkt 4: Sind Anwälte noch Organe der Rechtspflege und ist eine Liberalisierung des anwaltlichen Berufsrechts nötig?

Fraglich ist, inwiefern sich der durch das RDG angestrebte Standard erfüllt, nach dem Anwälte lediglich den Interessen des Mandanten verpflichtet sein sollen. Sie sind letztlich auch am Markt tätig – und das zumeist nicht ausschließlich aus altruistischen Motiven heraus.

Auf der anderen Seite steht das Versprechen der Technologie, Zeitaufwand, Durchsetzungskosten und die Komplexität der Anspruchsgeltendmachung zu reduzieren. Die mangelhafte Verbraucherrechtsdurchsetzung stelle nach den Vertretern der Legal Tech-Branche nicht nur einen Nachteil sowohl für die Verbraucher als auch den Gesetzgeber dar – denn ohne Verfahren zum Vollzug ist positives Recht ein freilich stumpfes Schwert. Es sei vielmehr ein in Anbetracht von Art. 19 IV GG rechtswidriger Zustand. Die europäischen Standards des Verbraucherrechts sollen die Schwachen der Schwachen in ihrer Position vor Gericht stärken. Ist das Verbraucherrecht jedoch nur der gegebenenfalls prozessaffineren Mittelschicht vorbehalten, verfehlt der Status Quo seinen Zweck. Die Unklarheit über die rechtliche Einordnung von Legal Tech hat somit verfassungsrechtliche Relevanz.

Dem Klischee der konservativ orientierten Anwaltschaft lässt sich die „Zukunftsstudie Anwaltschaft 2030“ des DAV entgegensetzen. Diese zeigt, dass die aktuellen digitalen Entwicklungen das zentrale Thema des anwaltlichen Diskurses sind. Insofern kann jedenfalls nicht von einem Verschließen der Anwaltschaft vor den Chancen, Risiken und (teils disruptiven) Effekten der Digitalisierung die Rede sein.  Dies lässt einen Ausblick dahingehend zu, dass sich die beiden Lager langsam aufeinander zubewegen.

Aufzeichnung des Fachgesprächs:


 

Foto: Bündnis 90/Die Grünen, Livestream (https://www.youtube.com/watch?v=ZMdU4ptkDbw)
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Philipp Kürth ist Student der Rechts-
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schaften an der Humboldt Universität zu Berlin. Er begeistert sich für die neuen technischen Entwicklungen und ihre rechtlichen sowie gesellschaftlichen Auswirkungen, insbesondere im Bereich der künstlichen Intelligenz. Er ist studentischer Mitarbeiter der Humboldt Consumer Law Clinic für Verbraucherrecht (HCLC) sowie Mitglied des Arbeitskreises Legal Tech der juristischen Fakultät der Humboldt Universität.

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